2.5.4. Gotische Fresken

Themen
Apostelkreuze – Ornamentik – Heilige und Engel – Christus und die Apostel – Biblische Szenen und Verwandtes – Kreuzigung Christi – Fabelwesen – Literatur

Die Rainer Stadtpfarrkirche beeindruckt durch eine ganze Reihe von spätgotischen Fresken aus dem Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts. Ihre heutige Pracht verdanken wir dem Restaurator Toni Mayer aus Mindelheim, der sich ihrer bei der Renovierung 1970/74 angenommen hat. Das Schicksal der Fresken durch die Zeiten war ein wechselhaftes. Bei der Voruntersuchung Mayers (in Festschrift zur Altarweihe, S. 19–27) zeigte sich, dass 1616 zahlreiche neue Wandmalereien über die ursprünglichen Fresken gemalt wurden. Diese neue Ausmalung wurde zum Teil fotografisch dokumentiert. Aufgrund des besseren Erhaltungszustandes entschied man sich aber für die Wiederherstellung des Zustands von 1480. Einiges aus der Fassung von 1616 ist doch sichtbar: zum Beispiel die Engel mit dem Schweißtuch auf der rückwärtigen Seite des Chorbogens (zur Inschrift „1480“ auf der Vorderseite, siehe hier) und die Zwickelausmalungen im Chorbereich, wobei die Fabelwesen in den unteren Gewölbezwickeln wiederum zur Erstausmalung gehören (vgl. hier).

 
Rückseite des Chorbogens: Schweißtuch der Veronika

 
                    Chorzwickel: Lamm Gottes

Bei der Barockisierung 1683/86 dann wurden die Fresken ganz übertüncht. Über 200 Jahre später, 1929, wurde ein erster Teil von ihnen wieder freigelegt, unter anderem der große Christopherus über dem Südportal und die beiden Fresken am Ende der Seitenschiffe an der Westwand, sie zeigen die Vertreibung der Händler aus dem Tempel und von Teufeln umgebene schwatzende Männer und Frauen. 1970/74, wie gesagt, fand dann die umfassende Wiederherstellung der Fresken und des Gewölbes statt. Fast sämtliche Spuren der historistischen (neugotischen) Fassung aus dem 19. Jahrhundert wurden dabei beseitigt. Bei der Innenrenovierung 2013 unter der Firma Hans Blöchl, Augsburg, mit Kirchenmaler Thomas Schwarz wurde lediglich eine leichte Reinigung der Fresken vorgenommen und die Gewölberippen erhielten eine abgesetzte rote Vorderkante. Dies entspricht der ursprünglichen Fassung und betont die Rippen, die auf diese Weise auch den Raum besser strukturieren. Die im Langhaus bereits 1974 wiederhergestellten Begleitstriche mit den mehrfach gestuften Bändern in der Folge Rotbraun, Blau und Hellrot wurden dadurch ergänzt.

Apostelkreuze
Ein „Weihekreuz“ oder „Apostelkreuz“ ist ein aus gebogenen Linien gebildetes und von einem Kreis umschlossenes Kreuz. Bei der Weihe einer Kirche salbt der Bischof an zwölf Stellen Pfeiler und Wände des neuen Gotteshauses. Zur Erinnerung wurden an den Salbstellen werden die „Apostelkreuze“ angebracht. In der Rainer Stadtpfarrkirche findet man sie in verschiedenen Farben (vorwiegend grün und rot) im Chorraum. Sie sind vielleicht die unscheinbarsten, dafür aber wohl die ältesten Stücke, denn sie sind al fresco auf runde dünne Putzscheiben aufgetragen, wobei der Kirchenraum selbst noch nicht verputzt war. Die Apostelkreuze sind also ein Zeugnis aus der Zeit vor der Fertigstellung der Kirche in ihrer jetzigen Form (etwa 100 Jahre wurde ja an der Rainer Kirche gebaut).

           

Ornamentik
In den Gewölbezwickeln des südlichen und nördlichen Seitenschiffs (sowie in der Sakristei) findet man phantasievolle Pflanzen- und Blumenformen. Toni Mayer hat sie großzügig ergänzt, nur etwa 30 Prozent davon ist wirklich historische Substanz. Die reich stilisierten Pflanzen- und Blumenformen kontrastieren in ihrer lebendigen Zeichnung und Farbgebung zu den die Rippen begleitenden roten Perl-Stäben.

 
                                                      Ornamente im südlichen Seitenschiff, östlichstes Joch

 

Heilige und Engel
Aus den verschiedenen Heiligendarstellungen ragt die überlebensgroße Gestalt des heiligen Christopherus (wohl Anfang des 16. Jahrhunderts) über dem südlichen Seiteneingang heraus. Das gewaltige Bild erstreckt sich vom Portal bis in die Decke hinein. Die in der Legende beschriebene riesenhafte Gestalt des Heiligen wird so augenfällig ins Bild gebracht. 1929 wurde das Fresko freigelegt. Das Beispiel des Heiligen Christopherus als dem Mann, der den mächtigsten Herrn der Welt sucht und nur ihm dienen möchte, hat damals wie heute etwas Bewegendes. Die Herrscher dieser Welt, ja sogar der Teufel waren die ersten Anlaufstationen, wo er diesen Mächtigsten suchte.
Ein Einsiedler wies Christopherus schließlich auf Christus hin. Aber wie Christus dienen? Mit den Vorschlägen des Einsiedlers (Fasten und Beten) konnte Christopherus nichts anfangen. Doch ein Werk der tätigen Nächstenliebe, nämlich Menschen über einen gefährlichen Fluss zu tragen, das entsprach genau seiner Konstitution. Eines Nachts nun bat ein kleines Kind, über den Fluss getragen zu werden. Die einfach erscheinende Aufgabe brachte Christopherus an die Grenzen seiner Kräfte: Das Kind schien beim Hinübertragen so schwer zu werden, dass der starke Mann fast ertrank. Am Ende offenbarte sich das Kind: Christus selbst, der Herr der Welt, war es, den er getragen hat. Zum Beweis dieser Worte erblühte der Stab des Christopherus am nächsten Morgen.


                                                               Der heilige Christopherus über dem Südportal

Eine merkwürdige Begegnung und ein merkwürdiger „Lohn“ für seinen treuen Dienst, mag man denken – aber steckt nicht viel Wahrheit gerade auch über die Schwierigkeiten eines christlichen Lebens in dieser Erzählung? Man geht auch davon aus, dass der sprechende Name „Christopherus – Christus-Träger“ ursprünglich ein allgemeiner Ehrentitel für alle Märtyrer war und sich erst später verselbständigt hat. Die Christopheruslegende in ihrer heute bekannten Form geht auf das 13. Jahrhundert zurück, bekannt wurde sie vor allem durch die sehr verbreitete Sammlung der „Legenda Aurea“ des Jacobus a Voragine.
Christopherus wurde angerufen, um einen sicheren Weg zu erbitten. Das galt im wörtlichen und im übertragenen Sinn: Auch der letzte Weg des Menschen sollte sicher sein. So wurde er zum Patron gegen einen unerwarteten Tod (vor allem fürchteten die Menschen, ohne Sterbesakrament aus der Welt scheiden zu müssen). Im Spätmittelalter wurde Christopherus deswegen am Ausgang von Kirchen, aber auch an Stadttoren und auf der Innenseite von Schilden abgebildet. Wer auf sein Bild schaute, der war für den kommenden Tag geschützt. Im 20. Jahrhundert wurde Christopherus durch Papst Pius XI. zum Schutzpatron für Autofahrer und Verkehrsmittel ernannt. Bei den Fahrzeugsegnungen um seinen Gedenktag am 24. Juli bittet man, auch auf den modernen Wegen gut ans Ziel zu kommen.
So viel zum heiligen Christopherus. Auf dem Bild kann man etliches erkennen, was zur Legende gehört: Christopherus selbst, seinen Stab, das Kind, das er trägt und auch den Einsiedler, der ihn auf den rechten Weg gebracht hat. Dann gibt es aber auch Bildelemente, bei denen der Künstler seiner Phantasie freien Lauf gelassen hat. Im Fluss kann man verschiedene Fische und eine Melusine oder Sirene (das ist eine zweischwänzige Meerjungfrau) erkennen. Inspiriert hat er sich dabei aus zeitgenössischen Holzschnitten – der Buchdruck war ja noch jung, es gab noch nicht so viele gedruckte Bücher. Man vergleiche die Meerjungfrau auf dem Bild etwa mit der Darstellung aus Konrad von Megenbergs „Buch der Natur“, erschienen z. B. in Augsburg: Johann Bämler 1475, hier, auch die Fische sind den Illustrationen aus diesem Buch nachempfunden, vgl. hier.


Details der Christopherus-Darstellung: Melusine und verschiedene Fische

Links unten im Christopherus-Bild findet sich noch eine Besonderheit: eine Darstellung der Heiligen Kümmernis. Sie ist eine „seltsame Heilige“ – nicht nur, weil sie selten abgebildet wird. Die legendarische Gestalt der heiligen Kümmernis ist entstanden aus einer Fehldeutung von Abbildungen des „Volto Santo“ („Heiliges Antlitz“) im Dom zu Lucca in der Toskana. Das 2,50 Meter hohe Kruzifix galt als besonderes Gnadenbild, denn das Gesicht des Gekreuzigten war präzise modelliert nach dem Gesichtsabdruck im „Schweißtuch Veronikas“ (einer anderen hochverehrten Reliquie, die im Petersdom in Rom aufbewahrt wurde und wird). Die Darstellung hat außerdem die Eigentümlichkeit, dass Christus hier nicht nur mit einem Lendenschurz, sondern mit einer gegürteten langen Tunika bekleidet war (vgl. z. B. hier). Das aber führte zu dem Missverständnis, es handle sich um eine gekreuzigte Frau. Die Legende (vgl. das ökumenische Heiligenlexikon hier) machte daraus dann die Tochter eines heidnischen Königs, die sich zum Christentum bekehrte. Um nicht mit einem heidnischen Prinzen verheiratet zu werden, bat sie Gott, ihr Aussehen zu entstellen. Die Bitte wurde erhört und ihr wuchs ein Bart. Der wütende Vater ließ seine Tochter ans Kreuz schlagen, damit sie Christus, ihrem himmlischen Bräutigam, noch mehr gleiche. Es heißt, dass die heilige Kümmernis dann drei Tage lang vom Kreuz herab predigte und viele Menschen bekehrte, zuletzt auch ihren Vater, der sie nun in kostbare Stoffe hüllen ließ und ihr nach dem Tod eine Kirche errichtete.
Als Christ zu leben bedeutet, Christus ähnlich sein – freilich nicht in Äußerlichkeiten, sondern in der Lebenshaltung. Das ist der Punkt, auf den man die Legende bringen kann. Christusähnlichkeit aber ist einerseits Gnade und will erbeten sein, andererseits ist auch der eigene Einsatz gefordert: Nur durch Standhaftigkeit, Geduld und Courage wird dieses hohe Ziel erreicht. Das sagt auch der andere Name, unter dem die heilige Kümmernis bekannt ist: „Wilgefortis“, das vermutlich von „virgo fortis – tapfere Jungfrau“ kommt. Die heilige Kümmernis wurde „in allen Herzens-, Leibes- und Seelennöten angerufen und hat eine Art Generalhilfsmacht, so dass sie auch unter den 14 Nothelfern erscheint. Außer in persönlichen Angelegenheiten, besonders in solchen leidender und hoffender Frauen wird sie auch in Nöten und Gefahren, die die Allgemeinheit bedrohen, angerufen, z. B. bei Trockenheit und Dürre, ,Misswachs, Teuerung, Überschwemmung und anderer Drangsal. In Altbayern führt sie wegen ihrer besonderen Beziehungen zu den Frauen den Namen Weiberleonhard“ (Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5, S. 810).

 
                            Im Christopherusbild: Heilige Kümmernis

Wenn man auf die Darstellung in der Stadtpfarrkirche schaut, dann erkennt man viele Details des originalen Gnadenbilds wieder: Die Kreuzigungsszene ist auf einem Altar mit Kelch und Leuchtern situiert, das Gewand, die Krone des Gekreuzigten, die Gloriole um das Kreuz. Dargestellt wird außerdem die sogenannte „Spielmannslegende“, die die Geschichte der heiligen Kümmernis fortschreibt: Ein armer Spielmann betete vor einem Bildnis der Heiligen. Kümmernis, deren Figur mit goldenen Schuhen angetan war, erhörte sein Flehen und ließ einen der Schuhe zu ihm herunterfallen. Doch der Spielmann konnte sich des Geschenks nicht erfreuen, vielmehr wurde er als Dieb verdächtigt und sollte gehängt werden. Als letzten Wunsch erbat er sich, vor dem Bild noch einmal spielen zu dürfen und der heiligen Kümmernis sein Leid zu klagen – und das rettete ihn, denn das Bild ließ daraufhin den zweiten Schuh ebenfalls herabfallen und erwies so seine Unschuld.

       
   An den hinteren Säulen: Der hl. Hieronymus und der hl. Florian

An der jeweils vorletzten Säule (vom Chorraum aus gesehen), dem Südportal zugekehrt, findet man zwei weitere Fresken, die Heilige darstellen: An der südlichen Säule den heiligen Florian in zeitgenössischer Kleidung eine brennende Stadt löschend. Florian erlitt 304 in Lorch (Österreich) das Martyrium: Er wurde in der Enns ertränkt. An dem Ort, wo sein Leichnam bestattet wurde, entsprang eine Quelle, die noch heute existierende Floriansquelle. Viele Wunder sollen durch das Wasser dieser Quelle geschehen sein. Der „Wasserheilige“ Florian aber wurde schließlich als Patron gegen Feuersgefahr angerufen.  
An der nördlichen Säule wird der Kirchenvater Hieronymus († 420) gezeigt. Er wird dargestellt als „Büßer“. Zum Vergleich betrachte man das 1515/18 entstandene Bild von Lukas Cranach. In der Einöde betet Hieronymus vor einem Kreuz. Er hat das Kardinalsgewand abgelegt. Ein Löwe liegt auf seinen Füßen.
Die Lebensbeschreibung erzählt, dass Hieronymus, der sich dem Mönchtum sehr zugetan wusste, ab 378 eine Zeitlang bei Einsiedlern in der syrischen Wüste lebte. Hier spielt auch die Löwenlegende, die von einem hinkenden Löwen berichtet, der die Mönche in die Flucht jagte, Hieronymus aber versorgte und pflegte ihn, daraufhin blieb der Löwe bei ihm und verrichtete ihm immer treue Dienste.
Hieronymus wird oft als Kardinal dargestellt, obwohl es den Titel seinerzeit noch nicht gab. Hieronymus war einfacher Priester, 379 in Antiochia wurde er geweiht. Der Hintergrund ist: 382 kehrte Hieronymus nach Rom zurück, der römische Bischof (Papst) Damasus I. ernannte ihn dort zu seinem Sekretär. Hieronymus ist einer der größten Theologen und zählt zu den vier großen abendländischen Kirchenlehrern (mit Ambrosius, Augustinus, Gregor dem Großen). Besonders seine Übersetzung der Bibel ins Lateinische (die „Vulgata“) machte ihn berühmt. Trotz seiner nicht immer einfachen Art, mit der er oft aneckte, war Hieronymus als Seelsorger geschätzt. Aufgrund von Streitigkeiten verließ er 385 Rom und zog sich wiederum in die Abgeschiedenheit, diesmal nach Betlehem zurück, wo sich auch sein Grab befindet.

 
                                      Hl. Stephan und hl. Nikolaus
                                an der Säule links neben dem Ambo

An der Säule vorne links neben dem Ambo befindet sich eine Darstellung des heiligen Stephan von Ungarn und des heiligen Nikolaus. König Stephan I. († 1038) wird mit dem Doppelkreuz (Patriarchenkreuz) gezeigt, das auf seine Missionstätigkeit hinweist: Der mit der bayerischen Herzogstochter Gisela verheiratete Stephan christianisierte Ungarn und wurde so zum Nationalheiligen. Papst Silvester II. krönte ihn 1000/1001 mit der Stephanskrone und verlieh ihm den Titel „Apostolische Majestät“, auf den die ungarischen Könige in der Folge besonders stolz waren. Ungewöhnlich ist wohl die Darstellung als „erwachsener Täufling“ nur mit einem Lendentuch bekleidet: Im Jahr 985 wurde Stephan von Bischof Adalbert von Prag getauft. – Die Legende des heiligen Nikolaus ist so bekannt, dass man darüber wohl nichts sagen muss. Dargestellt wird Nikolaus als Bischof mit Stab und Mitra, in der linken Hand das Evangelienbuch (zu dessen Verkündigung er als Bischof in besonderer Weise bestellt ist) und darauf die drei Goldkugeln, die er den Töchtern eines armen Mannes nachts heimlich zukommen ließ. In Rain mag die Darstellung ein Hinweis auf die Nikolauskirche in Brucklach sein: Sie war wohl (vor der Fertigstellung der Stadtpfarrkirche) die ursprüngliche Pfarrkirche (vgl. Festschrift zur Altarweihe, S. 30), 1480 wurde Brucklach dann Filiale von Rain (Kirchenführer, S. 9).
Über der Türe zur Sakristei freute man sich 1970/74 über eine ziemlich gut erhaltene Darstellung Marias mit dem Kind und des heiligen Johannes des Täufers mit dem Lamm.

 
                      Die Gottesmutter Marie und Johannes der Täufer
                               über dem Eingang zur Sakristei

Rätsel gibt der an der Wand des südlichen Seitenschiffs gemalte Altarschrein auf. Welche Heiligen sind hier dargestellt? Die obere Reihe ist noch einigermaßen klar: In der Mitte wird Christus als gnädiger Richter gezeigt, der sein Schwert in die Scheide steckt. Ihm zur Seite Maria mit dem Kind und ein Engel mit Kreuz. In der unteren Reihe findet man vier weitere Heilige, die sich nicht zuordnen lassen. Bei den beiden linken Figuren, einem Bischof und einer Frauengestalt, könnte man an den heiligen Ulrich und die heilige Afra denken, vor allem wegen des Feuers zu Füßen der Frau. Für die beiden rechten vermutet die Festschrift zur Altarweihe (S. 30) Tobias mit dem Erzengel Raphael und Papst Silvester, das erscheint aber bei genauerer Betrachtung doch recht unwahrscheinlich.


                                                       Gemalter Altarschrein an der Südwand des Seitenschiffs

Um das Lüftungsloch hoch oben in der Decke des Mittelschiffs findet man einen Kranz aus sechs Engeln. Zwei von ihnen haben Musikinstrumente, eine Laute und eine Posaune. Drei weitere Engel tragen „Leidenswerkzeuge“, das heißt Gegenstände, die bei der Passion Christi eine besondere Rolle spielten. Hier sind es eine Geißelsäule, an die Jesus gebunden wurde, eine überdimensionale Geißel und eine Rute sowie das Kreuz. Es bleibt ein sechster Engel, der eine Kapuze trägt. Er fällt etwas aus der Rolle und scheint nichts zu tragen. Der Symmetrie entspräche es, wenn er auch ein Leidenswerkzeug hätte, denn die beiden Engel mit Posaune und Laute stehen sich gegenüber, ebenso der Engel mit der Geißelsäule steht der mit Geißel und Rute. Vermuten kann man, dass der sechste Engel die Nägel für das Kreuz trug, denn im Bereich der linken Hand scheint auch etwas vom ursprünglichen Bild zu fehlen (hier ein Detailbild).

                                                              Engelkranz an der Decke des Langhauses

Christus und die Apostel
Aus den verschiedenen Bildern der Heiligen ragt die Gruppe der Apostel hervor. Sie soll im Folgenden eigens behandelt werden. Es handelt sich um neun Fresken, die die Apostel und in ihrer Mitte Christus zeigen. In etwas über Lebensgröße sind sie ein auffallendes Element an der Wand und an den Säulen des nördlichen Seitenschiffs. In den beiden Renovierungen 1929 und 1970/74 sind sie wieder ans Licht gekommen: in der ersten zunächst die drei Apostel an den Säulen, in der zweiten dann die übrigen sechs Figuren. Der Ort dieses Ensembles ist in der Tat etwas seltsam: Der Bedeutung der Apostel als Säulen und Fundament der Kirche (Gal 2,9; Eph 2,20) angemessen, werden sie meistens im Hauptschiff dargestellt. Gleichwohl haben sie einen Platz, an dem man sie deutlich wahrnimmt. Betrachten wir zunächst die ganze Gruppe, in der gegebenen Reihenfolge, beginnend an der Nordwand von Westen nach Osten und dann die drei „Säulen-Apostel“ von Osten nach Westen.

      
             Die Apostel Petrus und Andreas                                       Jakobus d. Gr.

           
                       Christus                                  Philippus                                 Matthäus
             
                        Simon                              Judas Thaddäus                                 Matthias

Wenn wir heute von den „zwölf Aposteln“ sprechen, dann meinen wir die Gruppe der zwölf Jünger, die Jesus noch einmal ausdrücklich aus der größeren Zahl seiner Anhänger berufen hat. Dabei muss man beachten, dass schon im Neuen Testament der Begriff „Apostel“ auch anders gebraucht wird: Bei Paulus z. B. bezeichnet er über diesen Zwölferkreis hinaus alle vollmächtig zur Verkündigung des Evangeliums Berufenen. Die Einsetzung der Zwölf durch Jesus war ein symbolträchtiger Akt: Die zwölf Stämme Israels bilden nach jüdischem Glauben das von Gott erwählte Volk. Mit der Eroberung des Nordreiches Israel im 7. Jahrhundert vor Christus gingen zehn Stämme verloren. Messianische Prophetie (etwa Jes 49,6.8) verheißt für das Ende der Zeiten die Wiederherstellung Israels. Durch die Einsetzung der zwölf Apostel – die nach seinem Wort Lk 22,30 die zwölf Stämme Israels richten – setzt Jesus ein Zeichen, dass mit seinem Auftreten die Verheißung Wirklichkeit zu werden beginnt. Jesus sandte die Zwölf aus, um in Israel in Wort (Predigt) und Tat (z. B. Krankenheilungen) das anbrechende Reich Gottes zu verkündigen. Weil die Zwölfzahl eine symbolische war, darum musste auch nach dem Tod des Judas Iskariot ein neuer Apostel bestimmt werden. Die Wahl fiel auf Matthias (Apg 1,15–26). An dieser Stelle wird auch die nachösterliche Aufgabe der Zwölf bestimmt: Zeugen der Auferstehung sollten sie sein. Beglaubigt wurden sie dadurch, dass sie „von Anfang an“, das heißt von der Taufe bis zur Himmelfahrt, mit Jesus waren (Apg 1,21). Das bedeutete freilich auch, dass der Kreis der Zwölf auf die erste Generation der Jünger beschränkt blieb.
Die Namen der zwölf Apostel sind uns im Neuen Testament in vier Listen überliefert (Mt 10,2ff., Mk 3,16ff.; Lk 6,13ff.; Apg 1,13). Die vier Listen stimmen nicht völlig überein, vor allem, was die Reihenfolge der genannten Namen angeht. Petrus freilich, das Haupt der Zwölf, steht immer an erster Stelle. Bei einem Apostel schwankt der Name: Bei Matthäus und Markus wird er „Thaddäus“ genannt, bei Lukas und in der Apostelgeschichte taucht stattdessen der Name „Judas, der Sohn des Jakobus“ auf (er ist nicht identisch mit Judas Iskariot, der Jesus verriet). In der Tradition heißt dieser Apostel dann „Judas Thaddäus“.
Schauen wir auf die Apostel-Fresken in der Stadtpfarrkirche: Im Heiligenschein ist der Name des jeweiligen Apostels eingeschrieben, allerdings zum Teil unleserlich, Christus ist, wie gewöhnlich, durch einen Kreuznimbus (das ist ein Heiligenschein mit Kreuz) gekennzeichnet. Auch wenn man die Namen nicht lesen kann, zur Bestimmung der einzelnen Apostel helfen die Attribute, die ihnen beigegeben sind: Bei Petrus ist es der (Himmels-)Schlüssel, bei Andreas das X-förmige Andreaskreuz, bei Jakobus der Pilgerstab und der Pilgerhut (wenn man genau hinsieht, kann man auch die Muschel darauf erkennen), bei Philippus ist es der Kreuzstab, bei Matthäus die Hellebarde, bei Simon die Säge, bei Judas Thaddäus die Keule und bei Matthias das Beil. Etliche der Attribute (Andreaskreuz, Säge, Keule, Beil) weisen auf das Martyrium hin, dass sie der Legende nach erlitten haben sollen. „Martyrium“ bedeutet vom ursprünglichen Wortsinn her „Zeugnis“, der Gedanke war: Hier vollendet sich der apostolische Auftrag mit dem ganzen Leben Zeuge des Evangeliums zu sein. Dafür steht auch das (Evangelien-)Buch das einige der Apostel als zusätzliches Attribut tragen, nämlich Petrus, Philippus, Simon, Matthias.
Noch etwas ist besonders an unserer Darstellung der Apostel: Die gemalten Podeste tragen jeweils ein Schild mit einer Aufschrift. Viel kann man nicht mehr entziffern, aber bei den drei Aposteln an den Säulen kann man noch etwas lesen. Bei Simon steht „gemainschaft der hailigen, … las der Sünden“, bei Judas „urstand des fla…“ (das heißt „Auferstehung des Fleisches“) und bei Matthias „und das ewig leben Amen.“ Es sind (in alter Sprache) Sätze aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis. Wir haben also ein sogenanntes „Apostelcredo“ vor uns, ein ab dem 12./13. Jahrhundert gar nicht so seltener Bildtypus, bei dem jeder der Apostel zusammen mit einem Satz des Apostolischen Glaubensbekenntnisses dargestellt wird. Was ist der Hintergrund? Wie oben erwähnt, wurden schon im Neuen Testament die zwölf Apostel als Erstzeugen der Offenbarung gesehen. Mit dem Wort „Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,19, vgl. Apg 1,8) werden sie von Jesus dann nicht mehr nur zu Israel, sondern in die ganze Welt gesandt. Mit Berufung auf eine alte Tradition stellt der Kirchenvater Rufin im 4. Jahrhundert dann die folgenden Ereignisse so dar: Bevor die Apostel von Jerusalem aus in aller Herren Länder gingen, einigten sie sich auf die gemeinsamen Grundsätze ihrer Glaubensverkündigung. Im Glaubensbekenntnis stellten sie diese zusammen. Historisch entspricht dies sicher nicht der Textgeschichte des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, das auf ein in der römischen Kirche gebräuchliches Taufbekenntnis in Frageform zurückgeht. Der Grundidee, dass sich in ihm die wesentlichen Aussagen der Verkündigung der Apostel finden, ist dennoch zutreffend. Ungefähr zeitgleich zu Rufin findet sich bei Ambrosius von Mailand (oder wenigstens in seinem Umkreis) der Gedanke, dass man das Glaubensbekenntnis in zwölf Artikel einteilen kann, entsprechend der Anzahl der Apostel. In einer fälschlich Augustinus zugeschriebenen Predigt tritt dann zum ersten Mal eine direkte Zuordnung der Artikel zu den Namen der zwölf Apostel auf. Dieser Gedanke verbreitete sich und wurde schließlich ins Bild gesetzt.
Freilich muss man ergänzen: Im Glaubensbekenntnis erkennt man deutlich drei Abschnitte, die Aussagen (1) über Gott den Vater, (2) über Jesus Christus, den Sohn, und (3) über den Heiligen Geist und sein Wirken machen. Die Gliederung in 12 Sätze ist dagegen recht willkürlich. Und weil, wie erwähnt, ja auch noch die Reihenfolge der Namen in den Apostellisten schwankt, entstanden sehr viele Varianten, was nun die genaue Zuordnung der Sätze des Credos zu den einzelnen Aposteln anging. Fest blieb eigentlich nur die Zuordnung der ersten Aussage („Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“) zu Petrus als dem ersten Apostel. Dennoch hilft es uns bei der Betrachtung unserer Aposteldarstellungen, denn klar ist: die Bilder der vier fehlenden Apostel muss es gegeben haben, sonst funktioniert die Zuordnung zu den einzelnen Sätzen des Glaubensbekenntnisses nicht. Der Apostel Johannes wird seinen Platz wohl zwischen Jakobus und Christus seinen Platz gehabt haben: Damit die beiden Brüderpaare (Petrus und Andreas sowie die beiden Söhne des Zebedäus, Jakobus und Johannes) zusammen sind. Für den Lieblingsjünger ist der Platz zur Rechten des Herrn auch sehr angemessen. Die Festschrift zur Altarweihe (S. 30) erwähnt außerdem zwischen Philippus und Matthäus den Apostel Bartholomäus, von dem nur noch der Kopf erhalten war. Er muss wohl zwischenzeitlich wieder übertüncht worden sein. Es fehlen dann noch zwei Apostel: Thomas und Jakobus der Jüngere (Sohn des Alphäus). Dem Ende zu ist das Glaubensbekenntnis vollständig dargestellt (Simon, Judas Thaddäus, Matthias). Und zwischen Philippus und Matthäus dürfte kaum Platz für mehr als einen Apostel sein. In der logischen Reihenfolge müssen die beiden noch fehlenden also zwischen Matthäus und Simon eingeordnet werden. Aber wo? An der Nordwand rechts neben Matthäus kommt ja die Marienkapelle und eine weitere Säule links des Simon gibt es nicht. Ist also die Marienkapelle nachträglich ergänzt worden, oder waren beide an der Wand, die das Seitenschiff nach Osten abschließt (unter der Kreuzigungsszene)?
Christus ist dargestellt als „Salvator mundi“ (Retter/Heiland der Welt), in der linken hat er die Weltkugel, die rechte ist zum Segen ausgestreckt – in dem klassischen Gestus mit den drei ausgestreckten Fingern, die die Dreifaltigkeit bezeichnen, und den beiden abgewinkelten Fingern, die für die beiden Naturen Christi, die göttliche und die menschliche, stehen. Was wird wohl auf seinem Schild gestanden haben (der Text des Glaubensbekenntnisses ist ja auf die Apostel verteilt)? Es kann eigentlich nur der Sendungsauftrag (Mt 28,19) gewesen sein, denn diesem Auftrag, den Glauben zu verbreiten, dienen die Apostel und ihr Bekenntnis. Aus Platzgründen bietet sich die kürzere Fassung bei Mk 16,15 an: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“

Biblische Szenen und Verwandtes
Auf die beiden bereits 1929 freigelegten Fresken an der Westseite der Seitenschiffe wurde bereits hingewiesen. Links (südliches Seitenschiff) erkennt man Jesus, der die Händler aus dem Tempel treibt (Joh 2,13–22). Der Bildinhalt bleibt nahe an der biblischen Vorlage: Man erkennt die Geißel, die Jesus in der Hand hält, den umgestürzten Tisch und vier Händler, die mit ihren Waren den Tempel verlassen, der letzte von ihnen trägt einen Korb mit zwei Tauben darin. Die Kleidung der Händler und die Architektur des Tempels sind in die damalige Gegenwart versetzt.
Im nördlichen Seitenschiff findet man die „Rainer Deibeln“: Man sieht zahlreiche Teufel mit langen, leider verdorbenen, Spruchbändern, sie ergreifen zwei Gruppen schwatzender Männer und Frauen, wohl um sie einer gerechten Strafe zuzuführen. Im Hintergrund sieht man über der Szene zwei Engelchöre, ebenfalls mit Spruchbändern. – Es ist keine biblische Szene im strengen Sinn, mehr die Illustration biblischer Worte.
Man mag an den Ausspruch Jesu denken: „Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen müssen“ (Mt 12,36), oder an andere biblische Worte, die daran erinnern, was menschliche Worte an Gutem oder Schlechtem bewirken können, etwa: „Wer meint, er diene Gott, aber seine Zunge nicht im Zaum hält, der betrügt sich selbst, und sein Gottesdienst ist wertlos“ (Jak 1,26 – im Kapitel drei desselben Buches wird ausführlich die Macht der „Zunge“ geschildert und beurteilt). Die dargestellte Szene wird man im Zusammenhang lesen: einerseits gewissermaßen als eine „Anmerkung“ zu dem nebenan, über dem Nordportal, befindlichen Bild des Jüngsten Gerichtes, andererseits zusammen mit dem Bild im südlichen Seitenschiff als eine Mahnung zu bedenken, dass man sich im Haus Gottes befindet und alles lassen soll, was der Würde dieses Ortes widerspricht: Geschäftemacherei genauso wie lautes, ungebührliches Reden.

                                                   Südliches Seitenschiff: Austreibung der Händler aus dem Tempel


                                                             Nördliches Seitenschiff: „Rainer Deibeln“

Vom Nordportal und dem Jüngsten Gericht, das dort zu sehen ist, war eben schon die Rede. Auch dieses Bild war eines von denen, die 1616 „überarbeitet“ wurden. In der heutigen Fassung sieht man Teile aus beiden Schichten. Leider war nur noch der untere Teil des Bildes zu retten: Im verlorenen oberen Teil wird man sich Christus als Richter vorstellen müssen. Die Darstellung der Wiederkunft Christi zum Gericht war eines der „Standardthemen“ der hoch- und spätmittelalterlichen Sakralkunst. Was ist auf unserem Bild noch zu erkennen? In der Mitte wird die „Auferstehung des Leibes“ dargestellt: Die Menschen steigen aus ihren Gräbern. Es ist eine Verbildlichung des Wortes Jesu in Joh 5,28f. „Wundert euch nicht darüber! Die Stunde kommt, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören und herauskommen werden: Die das Gute getan haben, werden zum Leben auferstehen, die das Böse getan haben, zum Gericht.“ Gemäß dieser „Scheidung“ werden die Auferstandenen in unterschiedliche Richtungen geführt (oder gehen selbst – in diesem Detail unterscheiden sich die beiden Versionen des Bildes). Bei einem sieht man schon die Flügel, die ihm am Rücken gewachsen sind: Er gehört zu denen, die nach links gehen dürfen („links“ vom Betrachter aus, von Christus aus gesehen ist es die rechte Seite). Sie werden von Petrus empfangen, um aufrecht und erhobenen Hauptes in die himmlische Stadt hinaufzugehen. Die anderen gehen nach rechts und werden dort von Teufeln ergriffen, um in den Schlund der Hölle gestürzt werden. Eine Frau wird mit einer Schubkarre abtransportiert. Je weiter man dem Blick nach rechts folgt, umso mehr sieht man: Die Menschen gehen nicht, sie stolpern und stürzen in ihr Unglück. Die Teufel werden phantasievoll dargestellt – man fühlt sich an Hieronymus Bosch erinnert: mit Ziegenhörnen, mit aufgequollenem Bauch und langer schwarzer Nase, mit spitzen Ohren, mit Tiergesichtern, mit eingefallenem Bauch. Es sind sichtbare Zeichen, dass dort nicht Freiheit, Glück und Freude herrschen, wie auf der anderen Seite, sondern Zwang, Unglück und Elend.
Darstellungen des Jüngsten Gerichtes findet man in der Gotik regelmäßig an den Kirchenportalen außen in Stein gehauen. Nicht die Angst vor dem Gericht Christi sollte damit geschürt werden, sondern die Botschaft für den Eintretenden lautet: Durch deine Zugehörigkeit zu Christus bist du schon gerichtet (Joh 3,18), darum komm herein in die Kirche als Vorausbild der himmlischen Stadt, Du bist zum himmlischen Gastmahl geladen. – Ist die Darstellung, wie in Rain, umgekehrt im Inneren angebracht, so wird man es als eine Mahnung lesen. Dem der wieder in die Welt hinausgeht sagt es: Vergiss nicht, dass die Welt sich nicht um sich selbst dreht, sondern auf Gott zuläuft, er ist Ziel und Herr der Geschichte. Das soll in deinem Alltag auch sichtbar sein: Indem du barmherzig handelst, denn daran entscheidet sich nach Mt 25,31–46 der Ausgang des Gerichts über den Einzelnen. Und es soll sichtbar sein durch die Zuversicht, die Du haben darfst, weil Christus der Herr der Welt ist und mächtig genug, alle Schwierigkeiten des Lebens zu einem guten Ende zu führen. – Ein Kirchenlied im Gotteslob unter der Nummer 435 kann den Ernst und die Zuversicht, die zu gleichen Teilen in diesem Bild stecken, auf seine Weise noch einmal zum Ausdruck bringen: „Herr ich bin dein Eigentum“ beginnt die erste Strophe, und die letzte Strophe bittet: „Gib auch, dass ich wachend sei, Herr, an deinem Tage, und das Licht der Gnaden treu durch mein Leben trage. Dass ich dann fröhlich kann dir am End der Zeiten, Herr, entgegenschreiten.“

                                                                  Der noch erhaltene Teil des Jüngsten Gerichts über dem Nordportal
                                                                                                (hier in besserer Auflösung)

An der Chorraum-Wand auf der nord-östlichen Seite (links neben der Orgel) sind zwei Fresken, die den Ort anzeigen, wo 1511 ein Sakramentshaus (eine spezielle Form des Tabernakels, wie sie in der Gotik oft verwendet wurde) errichtet wurde. An dem in den leergelassenen Bereich kann man die Stelle erkennen. Darum herum wurden passenderweise Darstellungen angebracht, die mit der Eucharistie in Verbindung stehen. Die mittelalterliche Theologie dachte in Typologien. Das bedeutet, das Neue Testament „spiegelt“ sich im Alten. Das, was Gott im Neuen Testament tut, wird in bestimmten Ereignissen des Alten Testamentes bereits angedeutet. So werden Ereignisse aus den beiden Testamenten werden zueinander in Beziehung gesetzt, und damit auch die Einheit und Kontinuität der Heiligen Schrift in Altem und Neuem Testament zur Sprache gebracht. Es wurde allerdings meist sehr stark vom Neuen Testament her gedacht: Hier erfüllt sich, was als im Alten Testament verheißen wird; hier tritt in voller Klarheit zutage, was im Altem Testament als Schatten und Bild erscheint.
Entsprechend wird man auch die beiden hier dargestellten Szenen lesen: das „Mannawunder“ und das „Wasserwunder“. Es sind zwei Ereignisse aus der Zeit der Wüstenwanderung Israels, als Mose – in dem man auch ein Vorausbild Christi sah – das Volk aus Ägypten in das gelobte Land führte. Brot und Wasser stehen sicher wie wahrscheinlich kaum etwas anderes für die beiden körperlichen Grundbedürfnisse des Menschen: Hunger und Durst. In den beiden von Mose gewirkten Wundern werden diese Bedürfnisse gestillt. Christus tut dasselbe in einem übertragenen Sinn. Vor allem im Johannesevangelium beschreibt das. Bei Joh 6 findet man die große Brotrede, wo Jesus sich als lebendiges Brot bezeichnet. Er nimmt an dieser Stelle Bezug auf das Mannawunder, freilich nicht ohne auch den Unterschied in der Bedeutung herauszustellen: „Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. … Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben“ (Joh 6,49.51). Ein Kapitel weiter, wenn vom Besuch Jesu auf dem Laubhüttenfest in Jerusalem berichtet wird, heißt es dann: „Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen“ (Joh 7,37f.).

                                                                  Westseite des Chorraums: Mannawunder

Das Mannawunder wird im Buch Exodus, Kapitel 16, beschrieben. Auf der entbehrungsreichen Wanderung durch die Wüste, begann das Volk gegen Mose zu murren. Gott gibt deswegen das „Manna“. Schon im Wort selbst steckt, dass nicht zu sagen ist, um was es sich handelt, denn es heißt übersetzt „Was ist das?“ – das war der verwunderte Ausruf der Israeliten auf den ersten Mannaregen hin. Der biblische Bericht nennt es „etwas Feines, Knuspriges“ (Ex 16,14), „weiß wie Koriandersamen und schmeckte wie Honigkuchen“ (Ex 16,31). Entscheidend ist vielleicht gar nicht so sehr, es auf eine bestimmte Substanz festzulegen, auch wenn die Neugier natürlich dazu drängt. Die Erzählung will vielmehr deutlich machen: Es ist ein wunderbares Brot, Es ist „das Brot, das der Herr euch zu essen gibt“ (Ex 16,16), schon in späteren Schriften des Alten Testaments wird es verstanden als Zeichen, wie Gott für sein Volk sorgt und es nicht im Stich lässt (Neh 9,19–21).
All das sind Aspekte, die sich ohne Schwierigkeiten auf die Eucharistie übertragen lassen. Und noch heute wird darauf Bezug genommen, wenn das Gebet vor dem Eucharistischen Segen eingeleitet wird mit dem Dialog: „Brot vom Himmel hast du ihnen gegeben. – Das alle Erquickung in sich birgt.“ Der erste Teil ist ein Psalmzitat (Ps 78,24), der zweite eine Aussage über die „Speise der Engel“ aus dem Weisheitsbuch (Weish 16,20): „Dein Volk dagegen nährtest du mit der Speise der Engel, und unermüdlich gabst du ihm fertiges Brot vom Himmel. Deine Gabe gewährte jeden Genuss und entsprach jedem Geschmack.“ In der letzteren Aussage kommt zur Sprache, dass es nicht zuerst um den physischen Hunger geht, vielmehr soll die Sehnsucht des Menschen nach Gott gestillt werden. Deswegen war auch das Mann gegeben worden - wie es hieß: die Israeliten sollten „erkennen, dass ich der Herr euer Gott bin“ (Ex 16,12).
Was ist auf unserem Bild zu sehen? Ganz am oberen Bildrand erkennt man noch die Hände Gottes, wie er aus einer dunklen Wolke (Zeichen der sich entziehenden Gegenwart Gottes) das Manna austeilt. Das Manna selbst wird in Form von Kugeln dargestellt, die die Menschen eifrig sammeln: die Kinder rechts unten lesen es vom Boden auf, Schüsseln und Körbe werden in die Luft gehoben. Jeder sammelt nach seinem Bedarf, der eine viel, der andere wenig, wie es im biblischen Bericht heißt. Vor allem eine Person zieht den Blick des Betrachters auf sich: In der linken unteren Ecke ist Moses Bruder Aaron dargestellt. Er trägt ein priesterliches Gewand (vgl. Ex 28,1–4). Vorsichtig legt er die Mannakugeln in einen Kasten. Hier ist eine neutestamentliche Stelle eingetragen, denn im Hebräerbrief (9,4) heißt es, dass in der Bundeslade nicht nur die Tafeln mit den 10 Geboten (die „Bundesurkunde“) aufbewahrt waren, sondern auch der Stab Aarons, der Triebe angesetzt hatte, und ein goldener Krug mit Manna. Die Erzählung im Exodus-Buch (Ex 16,32–34) spricht davon einen Teil des Manna zu sammeln und für die kommenden Generationen aufzubewahren. Es sollte vor der Bundeslade stehen. Die Lade wurde später in den Tempel Salomos übertragen, und seit Nebukadnezzar II. 587/586 v. Chr. Jerusalem zerstörte und die Bewohner ins Exil führte, ist sie verschollen.

                                                                  Westseite des Chorraums: Wasserwunder

Der Bericht vom „Wasserwunder“ folgt im Exodus-Buch unmittelbar auf die Manna-Erzählung (Ex 17,1–7). Er wird später noch einmal wiederholt (Num 20,1–13). Manna- und Wasserwunder werden in Teilen auch ziemlich parallel erzählt: Beide Male murrt das Volk und beide Male sind wird durch ein Wunder des Mose der offensichtlichen Not abgeholfen. Beim Wasserwunder schlägt er mit dem Stab auf den Felsen, so dass Wasser hervorquillt und die Israeliten trinken können. Die äußere Parallele darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der innere Fortgang der Geschichte ein entscheidend anderer ist: Hier wird nämlich das Misstrauen deutlich, das die Israeliten gegen Gott hegen. Sie wollen den Herrn auf die Probe stellen (Ex 17,7): „Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?“ Und auch Mose versagt, denn es geht ihm mehr um seine eigene Person, als den Herrn „als den Heiligen“ zu bezeugen (Num 20,12). Darum ist dies der Ort, wo sich entscheidet, dass Mose selbst nicht ins gelobte Land einziehen darf, sondern vorher sterben wird. Massa und Meriba, Probe und Streit, wird der Ort genannt. Schon im Alten Testament wird mit Verweis auf diese Begebenheit gewarnt, den Herrn nicht auf die Probe zu stellen (Dtn 6,16; Ps 95,8–10).
Den Bezug auf die Eucharistie wird man heute wohl nicht sofort erkennen. Paulus stellt ihn her, wenn er über die Israeliten damals schreibt: „Alle aßen auch die gleiche gottgeschenkte Speise, und alle tranken den gleichen gottgeschenkten Trank; denn sie tranken aus dem lebensspendenden Felsen, der mit ihnen zog. Und dieser Fels war Christus“ (1 Kor 10,3–4). Er hat dabei die Eucharistie in der Doppelgestalt von Brot und Wein, von Speise und Trank vor Augen. Und hier wie da geht es um den Glauben an die Gegenwart Gottes. Ein Glaube, der nicht zuerst mit Worten, sondern mit Taten bezeugt werden möchte. Darum läuft es auch bei Paulus auf die Mahnung hinaus, den Herrn nicht auf die Probe zu stellen (1 Kor 10,9) und sich nicht vom Bösen beherrschen zu lassen. Darum auch war schon bei Dtn 6,16 dieselbe Mahnung zugleich der Epilog zum Gebot der Gottesliebe (Dtn 6,4f.), das Jesus dann zitieren sollte (z. B. Mk 12,30).
Unser Bild selbst zweigeteilt: Links ist nur noch ein Teilbild zu sehen, nämlich die drei Frauen unter dem Kreuz und darüber zwei Engel, die in zwei Kelchen Blut und Wasser aus der Seitenwunde des (nicht sichtbaren) Gekreuzigten auffangen. Dies zeigt: Mit dem Wasserwunder wurde eine Kreuzigungsdarstellung übermalt. Leider ist die rechte Seite auch schon ziemlich beschädigt, so dass sich nicht mehr so viel erkennen lässt. Erkennbar ist wieder das Lager der Israeliten dargestellt mit zahlreichen Zelten und Menschen. Ziemlich in der Mitte eine Frau, die einen Krug auf dem Kopf trägt, rechts darunter drei Frauen, die ein Kind baden. Im Hintergrund ist ein Berg. Die schwarze Wolke ist wohl die Wolke über dem Offenbarungszelt – das „Allerheiligste“ der Israeliten während der Wüstenwanderungszeit. Hier befragten Mose und Aaron den Herrn (Num 20,6). Man sieht die beiden als Hauptgestalten links vorne. Mose ist (wie öfter) mit Hörnern dargestellt. Das war die Fehlübersetzung eines nicht eindeutigen hebräischen Wortes: Als Mose vom Berg herabkam, wo er die zehn Gebote empfing heißt es Ex 34,29, dass sein Gesicht „Licht ausstrahlte“, weil er mit dem Herrn gesprochen hatte. Die Vulgata übersetzte hier stattdessen mit „gehörnt“. Das wohl berühmteste Kunstwerk, wo diese Übersetzung ebenfalls begegnet, ist wohl Michelangelos Mose in Rom in der Kirche St. Peter in Ketten. Mose zu Füßen ein Mann am Boden kriechend, ebenfalls mit einem Wassergefäß – das Misstrauen steht ihm ins Gesicht geschrieben. Und noch einmal daneben eine kniende Frau, von der aber nicht mehr viel erhalten ist.
Ganz vorne links im Zelt des Mose ist noch einmal ein großes Wassergefäß abgebildet.
Wenn man die beiden Bilder im Geist noch einmal nebeneinanderstellt, dann herrscht in dem einen die Freude über das von Gott geschenkte Brot vor, das Wasserwunder dagegen hat mahnenden Charakter: die Gegenwart des Herrn im Altarsakrament in jeder Hinsicht ernst zu nehmen. Beides gehört zusammen!

 
Kreuzigung Christi
Ebenfalls im nördlichen Seitenschiff, aber an der Stirnseite findet man eine große Kreuzigungsszene. 1970/74 wurde sie freigelegt. Leider ist war auch diese Darstellung nicht mehr vollständig wiederherstellbar. Einiges hat der Restaurator ergänzt. Doch bevor wir in die Details gehen, lohnt sich ein Blick auf das ganze Bild:

                                                          Die Kreuzigung Jesu im nördlichen Seitenschiff
                                                                       (hier in besserer Auflösung)


Die Darstellung entspricht dem Typus der „volkreichen Kreuzigung“, wie er in der deutschen Kunst des ausgehenden Mittelalters (15./16. Jahrhundert) gebräuchlich war. Mit den gezeigten Menschen werden die Geschichten im Umkreis um die Kreuzigung erzählt. Der Schauplatz vor der Stadt Jerusalem (?) angesiedelt. Im Hintergrund sieht man sie. Freilich, es handelt sich um eine Phantasielandschaft und  architektur, die eher an eine in einer Berglandschaft gelegene italienische Stadt mit zahlreichen Kirchtürmen erinnert. In unserer Darstellung ist die Stadt selbst deutlich höher gelegen als der Ort der Kreuzigung, der „Kalvarienberg“.
Das Kreuz Jesu (?) ragt in den Himmel und beherrscht die ganze Szene. Wie in anderen Darstellungen auch ist es kein Zufall, dass sich hinter dem Kreuz nichts anderes dargestellt ist und es so gewissermaßen direkten Kontakt zum Himmel hat. Wenn man auf den Gekreuzigten schaut, mag zuerst die Ruhe auffallen, die er ausstrahlt. Man hat den Eindruck, er steht über all den Dingen, die da um ihn herum vorgehen. Beim genaueren Hinsehen erkennt man: Die Augen sind geschlossen und die Seite rechte Seite ist geöffnet, ein breiter Blutstrom läuft herab. Also ist Jesus bereits tot – auch wenn der Körper noch voller Spannung ist. Das „Es ist vollbracht“ (Joh 19,30) ist bereits gesprochen. Was immer noch an sein Leiden erinnert – die Dornenkrone, die selbst Kreuzgestalt hat (vergleichbar dem Kreuznimbus Christi im Apostelzyklus hier), die Blutspuren an den Knien, an den Händen und Füßen – es ist Vergangenheit. Die ganze Haltung Jesu spricht von Würde, sie zeigt dass er selbst im Tod noch der Herr ist, ganz anders als der Schächer zur Rechten, dessen Leib so verdreht ans Kreuz gebunden ist. Es ist eine gelungene Synthese: Christus ist nicht als Herrscher, als König am Kreuz dargestellt (wie man es in der Romanik gerne tat). Jesus ist ganz Mensch und deswegen dem Tod unterworfen. Und doch steht er auch da als der, der den Tod überwunden hat – für uns alle.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Darauf weist auch der Totenschädel (?) hin, den man zu Füßen des Kreuzes erkennt. Dieses Motiv findet sich bei sehr vielen Kreuzigungsdarstellungen, es ist das Haupt Adams, der stellvertretend für die ganze erlöste Menschheit steht. Eine Legende aus dem apokryphen Buch mit dem Titel „Schatzhöhle“ wusste, dass das Grab Adams auf Golgotha gelegen habe, just an der Stelle, wo dann das Kreuz stand. Weniger bildlich formuliert kann man sagen: Der Ungehorsam des Adam brachte den Tod, der Gehorsam Christi bringt das Leben und eröffnet von neuem das Paradies. Als weiteres sichtbares Zeichen dieser Hoffnung sieht man oben aus dem Kreuz einen grünen Zweig wachsen.

 

Mit Jesus zusammen wurden zwei Schächer (oder „Räuber“) gekreuzigt. In der Darstellung ist von dem linken ist leider gar nichts mehr erhalten. Der rechte ist hier derjenige, der an Jesus glaubte und von ihm hören durfte „Heute noch wirst Du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). Ein Engel (?) weist seiner Seele den Weg in den Himmel. Wenn man genau hinsieht kann man die Seele als ein verkleinertes Bild ihres erkennen, durch den verlässt sie gerade den Leib.

 

 

 

Unten um das Kreuz herum scharen sic h die Menschen in verschiedenen Gruppen. Ganz im Vordergrund (auf der linken Seite) stehen Maria und Johannes (?).Vom Kreuz herab hatte Jesus die beiden einander anvertraut („Siehe dein Sohn“ – „Siehe deine Mutter“, Joh 19,27f.), darum wird Maria von Johannes fürsorglich gestützt. Manche andere Darstellung aus dieser Zeit zeigt Maria gar vom Schmerz überwältigt ohnmächtig zurücksinkend – ob das auch hier so ist, lässt sich wohl nicht mehr sagen.
 

 

 

 

 

 

 

 

Rechts neben dieser Gruppe findet man ganz im Vordergrund zwei weitere Jünger: Josef von Arimathäa zu Pferd (?), der ebenfalls eine der anderen Frauen, die unter dem Kreuz standen tröstet. Vielleicht ist es Maria Magdalena, als bekanntester Name in der Aufzählung von Markus 15,40 (und Parallelstellen). Josef, heißt es, war Mitglied des Hohen Rates (z. B. Lk 23,50). Die Kleidung, vor allem der Hut, und sein Pferd verdeutlichen seine gehobene Stellung. – Man bemerkt nebenbei, dass sein Pferd kaum Platz in der Komposition hat. – Das Motiv des Tröstens wird durch die doppelte Darstellung stark betont, man

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